What’s Happened
Brave New World – Episode Prinzenbad
+++ 20. Oktober 2021, 9 Uhr: Tom Michelberger war heute schwimmen, schwamm 30 Bahnen mühelos und hat zehn Menschen ein ehrliches Lächeln geschenkt. Allerdings kam er eine Stunde verspätet, ging erst nach Aufforderung aus dem Becken und sein Impfstatus ist ungeklärt. Potentiell systemkritisch, mit Gehorsamsdefizit. 6 von 10 Punkten. +++
Vorbei sind die Zeiten der grummeligen Bäderbetriebe-Mitarbeiter, der „Mir gehört die Bahn“-SchwimmerInnen oder der „Ich war zuerst da“-Drängler, der „ungeduldigen SchlangesteherInnen“, die kreischenden raufenden Kreuzberg-Kiddis, der Poser-Mucki-Teenager-Fraktion. Vorbei ist die Zeit des bunten, wilden, chaotischen Treibens des Prinzenbads. Die Frühschwimmer sind nicht mehr in der Not pünktlich ins Büro zu kommen, die MitarbeiterInnen sind froh aus dem Haus zu dürfen, die Kids sind immer besser erzogen. Und zum ersten Mal in der Geschichte der Berliner Bäderbetriebe wurde der Badespaß bis fast in den November erweitert, noch vor 2 Jahren, schienen alle froh, dass der Sommer vorbei ist.
Heute überall lächelnde Gesichter, jeder schaut sich an, alles sind dankbar über das Erlebnis und die kleinen Begegnungen. Begrüßt mit einem Lächeln an der Kasse, jeder bieten jedem den Vorrang in der Bahn, alle nehmen Rücksicht, alle tauchen in den Moment.
Dank vorab Online-Registrierung, ist klar wer und wie viele kommen. Die Einlasszeiten sind in zwei Stunden Blöcke geteilt. Nach 90 Minuten darf keiner mehr im Wasser und nach zwei Stunden keiner mehr im Bad sein. Und das funktioniert auf die Minute. Früher mussten die Bademeister fast ins Wasser springen um die Letzten von der Badschließung zu überzeugen, heute reicht ein Gong über den Lautsprecher und alle fliegen aus dem Wasser.
Kein Stress, überall ein Lächeln, perfekte Organisation. Eine brave neue Welt. Und das tolle, das Bad gehört uns allen! Im besten Fall. Im schlechtesten Fall gehört es dem Staat.
Wie frei ist ein Lächeln und wo kommt es her? Wie brav darf eine mutige neue Welt sein?